Das Wohnen in superhohen Gebäuden wird für die Stadt der Zukunft Realität. Wie werden wir uns dann fortbewegen?

Stadt der Zukunft

Wie sieht unsere Welt in 50, 100, 200 Jahren aus? Prognosen zufolge wird das Wohnen in superhohen Gebäuden für die Stadt der Zukunft Realität. Wissenschaftler beschäftigen sich mit der Kapazität von Gebäuden und wie die Fortbewegung in vielleicht einmal 2000 Meter hohen Gebäuden aussehen könnte. Eine Auseinandersetzun g mit urbaner Mobilität.

Über den Wolken

Urbanisierung hat sich zu einem Megatrend entwickelt: Laut Zukunftsinstitut, eines der einflußreichsten Think Tanks der europäischen Trend- und Zukunftsforschung, bedeutet das aber viel mehr als der Wandel von Lebensräumen. Auch neue Formen der Vernetzung und Mobilität sind Teil davon, sowie eine komplett neue Lebens- und Denkweise. Für die Zukunft wird das Szenario von Städten, die sich zu Staaten entwickeln und immer einflussreicher werden vorstellbar: Städte werden dabei zu den mächtigsten Akteuren in einer globalisierten Welt. Eine sogenannte „Global City“ ist eine Stadt, die zentrale Steuerungsfunktionen hat und regionale, nationale und internationale Finanz-, Dienstleistungs- und Warenströme verknüpft und somit auch einen zentralen Knotenpunkt der Globalisierung bildet. Häufig entwickeln sich aus Global Cities dann die Megacities: Das sind Städte mit mindestens zehn Millionen Einwohnern, die vor der Herausforderung stehen, Lebensqualität, Infrastruktur und Nachhaltigkeit zu vereinen. Heute lebt bereits jeder Achte in einer der rund dreißig Megacities – laut Prognose wird sich die Anzahl solcher Städte bis zum Jahr 2035 auf fünfzig erhöhen. Smog, Lärm und hohe Mietpreise bilden dabei die negativen Konsequenzen eines solchen Ansturms auf die Städte der Welt.

Verschiedenen Prognosen zufolge werden 2050 nicht nur etwa zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben, sondern auch zwei bis drei Milliarden weitere Menschen in Städte ziehen. Der Wohnraum bleibt aber weiterhin begrenzt, wohin also mit all den Menschen? Asien, Indien und die Emirate wachsen zu den bevölkerungsreichsten Kontinenten heran, Auswirkungen der Überbevölkerung wie Kriminalität, Smog, Abgase und hohe Mietpreise sind hier schon lange deutlich zu spüren. Zwangsläufig müssen Gebäude wachsen, vor allem in die Höhe, um den Menschen Platz zum Wohnen, Arbeiten, Schlafen, Sport und Urlaub machen, zu geben. 

Heute lebt rund 30 Prozent der Weltbevölkerung in Städten, laut Stadtplanern wird sich diese Zahl nicht nur verdoppeln, sondern bis 2050 sogar auf 70 Prozent steigen. Es wird eng, bei wachsender Bevölkerungsdichte auf gleichem Raum – nicht nur in den Städten, sondern auf der ganzen Welt. 

Wo werden die meisten Menschen leben? Eine Prognose für das Jahr 2100
Wo werden die meisten Menschen leben? Eine Prognose für das Jahr 2100

Vor allem europäische Städte gelten dabei als Vorbilder für Megacities. Sie geben durch ihre hohe Lebensqualität die Tendenz in Richtung ökosoziale Stadt vor – eine Metropole als aktiver Sozialstaat, die sich für die Lösung von Umweltprobleme einsetzt mit einer weit entwickelten Infrastruktur.

Tatsächlich spielt die Infrastruktur eine entschiedene Rolle in der Stadtplanung. In der Zukunft werden Maschinen mit künstlicher Intelligenz nicht nur die autonome Fahrgastbeförderung übernehmen, sondern auch die Verantwortung für die Steuerung der Straßenbeleuchtung und den Verkehr in großen Gebäuden.

Im Fachjargon versteht man unter „Urban Mobility“ neben der Fortbewegung auf den Straßen auch den Personen-Nah-Verkehr in großen Gebäuden. Statistisch gesehen, fährt heute im Durchschnitt jeder fünfte Mensch täglich Aufzug – was den Lift, in der Häufigkeit der Nutzung gemessen, zum wichtigsten Transportmittel macht. Der Aufzug wird als lebensbegleitend gesehen, er ist mittlerweile selbstverständlich, weshalb seine Funktionen für das Leben und die Fortbewegung in der Stadt nicht immer wahrgenommen werden.

Die höchsten Gebäude der Welt
Wo und wann hat alles angefangen? Ein kurzer Überblick über die Entwicklung der höchsten Gebäude der Welt

Dass ein Fahrstuhl unbedingt notwendig ist für 400, 500, 1000 oder 2000 Meter hohe Gebäude, ist klar, aber andererseits schränkt er Architekten enorm in ihrer Freiheit bei der Gebäudegestaltung ein. Neben einem Schacht, der je nach Größe der Kabinen und Anzahl der zu transportierenden Menschen variiert, spielt das Gewicht des Seils eine tragende Rolle: Das Seil, das den Aufzug letztendlich hält, gewinnt entsprechend der Gebäudehöhe an Gewicht. Ab 300 bis 400 Metern würde es sich, aufgrund seiner Schwere, selbst zerreißen. Das Maximum ist bei dieser Höher also erreicht, ab dann muss mit mehreren verschiedenen Schächten und Aufzügen gearbeitet werden. Im Burj Khalifa, dem aktuell höchsten Bauwerk der Welt, sind es beispielsweise insgesamt vier verschiedene – die Fahrtzeit mit Umsteigen, Aus- und Zusteigen kann dann schon mal 40 Minuten betragen.  

Ein Gebäude wird also um die Liftanlage herum geplant und diese wird mit zunehmender Höhe des Gebäudes umfangreicherer. Mehr Höhe bedeutet mehr Menschen und mehr Aufzüge. Und das bedeutet wiederum für die Zukunft, dass Liftanlagen, die so viel potenziellen Wohn- und Lebensraum einnehmen, nicht mehr länger funktionieren. Dessen sind sich Ingenieure schon seit einiger Zeit bewusst geworden und beschäftigen sich daher mit Alternativen.

Eine davon kommt aus Deutschland, aus Neuhausen auf den Fildern in Baden-Württemberg. Der kleine Ort  mit gerade einmal 11.349 Einwohnern wirkt auf den ersten Blick so gar nicht wie die Millionenstadt der Zukunft –  aber hier wird groß gedacht. Hier hat „Thyssenkrupp Elevators“, der Konzern, der sich mit der Mobilität der Städte von Morgen beschäftigt, „Multi“ entwickelt: Ein seilloses Mehr-Kabinen-Aufzugssystem, das angelehnt ist an das Konzept eines Paternosters, eine Sonderform, bei der mehrere, an zwei Ketten befestigte Einzelkabinen im ständigen Umlaufbetrieb verkehren. Dabei werden die Kabinen am oberen und unteren Wendepunkt über große Scheiben in den jeweils anderen Lift-Schacht umgesetzt. Dieser Prozess wiederholt sich und kommt nie zum Stillstand. 

Höher, schneller, weiter: Der Aufzug der Zukunft

Bei einem modernen „Multi“ Aufzugssystem ermöglicht ein sich an Magneten entlangziehender Linearmotor das Fahren – ganz ohne Seil. Das Wenden übernimmt der sogenannte Exchanger: Dieser funktioniert, sobald die Kabine einfährt, als Drehkreuz im Zusammenspiel mit seinem Gegenstück, welches an der Rückseite der Kabine angebracht ist. Der Exchanger ermöglicht auch erstmals, dass ein Aufzug nicht nur vertikal fahren kann, sondern auch horizontal. Für Michael Ridder ist er das Schlüsselelement und letztendlich das, was „Multi“ von seiner Konkurrenz unterscheidet und worauf noch kein anderes Unternehmen gekommen ist. 

Diagonales oder geneigtes Fahren sei auch kein Problem, das liege bei den Architekten und Gebäudebauern. Der Exchanger ist letztendlich das Teil, das ihnen ganz neue Möglichkeiten und Freiheiten gibt, stellt der Marketingchef von „Thyssenkrupp Elevators“ fest. Vernetzte Häuser mit Verbindungsbrücken in der Höhe werden denkbar, man müsste gar nicht mehr auf den Boden der Tatsachen zurück, sondern kann von einem Wolkenkratzer zum nächsten fahren.

14.000 quadratmeter und 150 Millionen Euro

Die ursprüngliche Idee hinter „Multi“ ist, Gebäude möglichst ökonomisch zu gestalten, das heißt, die Fläche, die durch den Aufzug im Gebäude in Anspruch genommen wird zu minimieren. Für einen modernen Aufzug, der mit mehreren Kabinen pro Schacht fährt, wurde versucht, das zu erreichen. Als Beispiel bezieht Michael Ridder sich auf das One World Trade Center in New York, in welchem 40 Prozent der Gesamtfläche durch Aufzugsschächte belegt ist: „Wenn man sich jetzt überlegt, wie hoch die Mieten in New York sind und bei einem ‚Multi‘ bis zu 50 Prozent Schachtfläche eingespart werden können – es werden weniger Schächte benötigt werden, dadurch dass mehr Kabinen pro Schacht fahren können – kann sich bei einem System wie ‚Multi’ schnell rechnen.“ 

Beim One World Trade Centre wären das 14.000 eingesparte Quadratmeter. Hochgerechnet auf zehn Jahre Mieteinnahmen, sind das 150 Millionen Euro. Zahlen in schwindelerregender Höhe für ein System, das sich mit den über die Jahre gerechneten Mehr-Mieteinnahmen rechnen würde. Auch wenn einen „Multi“ in sein Gebäude zu integrieren, mehr Investition verlangt als für einen herkömmlichen Aufzug.

Auch wenn eine Personenzertifizierung noch aussteht, steht alles andere bereit und wartet auf das finale „Go“. Der erste „Multi“ wird 2020, vermutlich entgegen aller Erwartungen nicht in China oder Japan gebaut, sondern im East Side Tower in Berlin. Bis es 2050 dann soweit ist, dass Aufzüge quasi lebensnotwendig werden, forschen weiterhin rund vierzig Ingenieure allein bei „Thyssenkrupp Elevators“ an Verbesserungs- und weiteren Einsatzmöglichkeiten.

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Eine Kabine, etwa so groß wie eine Gondel beim Skifahren. Zu zweit oder zu dritt kann man noch angenehm nebeneinander stehen, bei sechs oder mehr Leuten wird es schon enger. Schwarze, polierte Kabinentüren gleiten auf und geben den Blick auf ein großes, rundes Touchpad frei. Zehn, zwanzig, dreißig Stockwerke werden angezeigt und verschiedene Tower können ausgewählt werden, die Skybridge oder eine digitale Wetteranzeige. „Welcome to Tower S, 30th floor“, grüßt eine Computer-generierte Stimme.

Im Hintergrund läuft leise Musik und sorgt für eine entspannte Atmosphäre. Die unangenehme Frage „Führt man jetzt Smalltalk oder schaut man doch lieber konzentriert ins Handy“ kommt nicht auf, wenn man die Kabine des Aufzugssystems „Multi“ betritt. In der futuristischen Fahrstuhl-Kabine wechseln Lichtschienen ihre Farbe von neonblau zu einem rosa-lila, die seitlichen Wände sind mit einem Art Wabennetz aus Aluminiumstangen überzogen, es gibt bodentiefe Fenster – soll man von hier schwindelfrei den Aufstieg bis in 2000 Meter hohe Gebäude mitverfolgen?

Titelbild: Thyssenkrupp Elevators