Kunst hat keine Nationalität

Kreativität ist ein universelles Gut, doch in vielen Ländern gefährdet. Über die Wichtigkeit, von Krieg und Verfolgung bedrohten Künstlern sichere Räume für ihr Schaffen zu bieten

Artist Training, Ausstellung Fine Arts, Rundgang UdK Berlin 2017 © Kenan Melhem

Wieso Kunst ein Grundrecht ist

Zu Zeiten des Nationalsozialismus wurden Bilder, Literaturwerke und Musikkompositionen vernichtet, die die Ideale der germanischen Rasse anzugreifen drohten. Künstler wie Emil Nolde, Ernst Ludwig Kirchner oder Otto Dix wurden aufgrund ihrer „entarteten Kunst“ an den Pranger gestellt. Zum Glück hat sich bis heute viel verändert: In Deutschland ist Kunst ein verfassungsrechtlich garantiertes Grundrecht. Der Staat darf also keine Eingrenzung von Methoden, Inhalten oder künstlerischen Tendenzen vornehmen. Das bedeutet, dass durch den offenen Kunstbegriff auch gesellschaftlich nicht anerkannte Kunstformen diesen Schutz des Grundrechts genießen. So kann Neues entstehen und es wird Raum für Umstürze und revolutionäre Denkansätze geboten. Doch diese Ausgangssituation ist nicht in allen Ländern gegeben. Künstler werden aus politischen oder rassistischen Gründen verfolgt und aus der Kulturszene ausgeschlossen – ihnen wird jegliche Freiheit genommen.

Das steckt hinter der Martin Roth Initiative

„Was ich in meinem Leben nicht akzeptiere, sind Redeverbote!“ So zitiert ihn die Berliner Zeitung 2017, wenige Monate vor seinem Tod. Der Kulturwissenschaftler und Kulturmanager Martin Roth hatte sich zu seinen Lebzeiten stets für verfolgte Künstler unterschiedlichster Herkunft eingesetzt. Martin Roth war ein bekannter Mann der Kunst: er war Direktor des Deutschen Hygiene Museums in Dresden, bevor er das Victoria and Albert Museum in London leitete. Zwischen 1995 und 2003 war er außerdem Präsident des Deutschen Museumsbundes. Der Vater von drei Kindern erlag 2017 im Alter von 62 Jahren einer schweren Krankheit. Nach ihm wurde die Martin Roth Initiative benannt, die zum Schutz Kunst- und Kulturschaffender im Ausland vom Goethe-Institut und Ifa (Institut für Auslandsbeziehungen) ins Leben gerufen wurde. Wenn Künstler von Zensur und Verfolgung bedroht sind, soll ihnen durch temporäre Schutzaufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten Sicherheit geboten werden. Krisen nehmen weltweit zu und viele Menschen steigt die Gefahr für viele an – unter ihnen eben auch viele Akteure aus Kultur und Kunst.

Deutschland als letzte Hoffnung

So ähnlich war es auch für Aeham Ahmad. Er wurde in der Nähe von Damaskus geboren und schon früh zeigte sich sein außerordentliches Talent. Als es in seiner Heimat zum Krieg kam, verlor Aeham nicht den Mut. Mit seinem Klavier auf einem Rollwagen spielte der heute 31- Jährige in den Trümmern der zerstörten Stadt. Er wollte den Menschen und auch sich selbst Hoffnung geben. Irgendwann blieb ihm nur noch eine letzte Option: die Flucht. 2015 kam er nach Deutschland, wohin ein Jahr später auch seine Familie nachkommen konnte. Mittlerweile gibt er Konzerte in ganz Deutschland, aber auch international, beispielsweise in England oder Italien. Seinen Lebenstraum, eine Karriere als Konzertpianist, wird er sich jedoch nie erfüllen können. Durch einen Granatsplitter hat er zwei Finger verloren. Trotzdem ist er seinen Weg gegangen – heute kennen ihn Menschen auf der ganzen Welt und er hat mit seiner Geschichte viele Leute bewegt.

Eine Orientierung für Künstler im Exil

Deutschland ist Aufenthaltsort einiger kreativer Geflohener. Es ist keine leichte Aufgabe, sich in einem fremden Land neu zu orientieren und auch beruflich wieder Fuß zu fassen – gerade in der Kunstbranche. Dazu gibt es mehrere Projekte, die betroffenen Personen unterstützen sollen. Beispielsweise die Martin Roth InitiativeArtists at Risk oder auch eine Maßnahme an der Universität der Künste in Berlin. Was vor zwei Jahren noch „Refugee Class“ genannt wurde, trägt heute den Namen „Artist Training for Professionals“ und bietet Künstlern im Exil eine Möglichkeit zur Orientierung. In den Modulen Musik, Bildende Kunst, Darstellende Kunst oder Film werden den Kreativen erste Kontaktmöglichkeiten geboten. Später erfolgt eine individuelle Beratung aufgrund der persönlichen Situation und einer möglichen Positionierung am Berliner Arbeitsmarkt. Vernetzung wird hier eine besondere Bedeutung zugeschrieben, denn die enge Zusammenarbeit mit Partnern aus der Branche ist für jeden Betroffenen unverzichtbar.

Musik für ein Gefühl der Zugehörigkeit

Menschen, die in den Kursen aufeinandertreffen, haben alle viel erlebt. Alle haben unterschiedliche Geschichten, aber meistens ähnliche Bedürfnisse und Wünsche. Einer davon ist Saman Aboutalebi. Er ist aus dem Iran geflüchtet und hat seine Familie zurückgelassen. Seit 18 Monaten lebt er nun in Deutschland und wird hier auch bleiben, denn zurück in sein Heimatland möchte er nicht. Im Iran hat er als Musikkomponist, 2D-Animateur und Regisseur gearbeitet, heute versucht er, seine Möglichkeiten in Deutschland auszuschöpfen. Seine Musik hat sowohl einen persönlichen als auch einen politischen Bezug, erzählt er. In Deutschland möchte er in Zukunft Filme machen, ein eigenes Album veröffentlichen und sich künstlerisch weiterentwickeln. Sein Bestreben im „Artist Training for Professionals“-Programm ist es, sich „mit anderen Künstlern und Menschen zu verbinden.“ Das Gefühl der Zugehörigkeit ist nicht nur für kreative Prozesse wichtig, sondern auf für die persönliche Verarbeitung seiner Geschichte. Saman stehen noch einige Aufgaben und Herausforderungen bevor, ein wichtiges Ziel hat er allerdings schon erreicht – denn auf die Frage, ob er im Moment glücklich ist, antwortet er: „Ja, irgendwie schon!“

Titelbild: ©Aeham Ahmad/Niraz Saied