Walter Gropius Bauhaus Superstar

Gestern Bauhaus-Gründer – heute Superstar?

Walter Gropius wurde einst gefeiert wie Bowie, Britney und Co. Aber welche Star-Qualitäten brachte er wirklich mit? Welche Gemeinsamkeiten hatte er mit einigen der erfolgreichsten Musikern aus den letzten Dekaden? Ein Faktoren-Check

Faktor 1: Bildung

Sie tauschten Gleichungen gegen Gitarren, Dramenanalysen gegen Drums, Religionslehre gegen Rock’n’Roll:  Jimi Hendrix und Mick Jagger sind nur zwei der Musiker, die es mit der schulischen Bildung nicht ganz so ernst genommen haben. Nicht so ernst zumindest wie mit der Musik. Während Jagger sein Studium an der London School of Economics als langweilig empfand, hatte Hendrix bereits in der High School aufgegeben und diese aufgrund von schlechten Noten verlassen. Den Plan, Musiker zu werden, hatten beide aber bereits im Hinterkopf, als sie sich gegen den klassischen Bildungsweg entschieden. Wer rockt, rebelliert ja auch immer ein bisschen. 

Der Rebell in Walter Gropius kam 1907 auf, als er sein Architektur-Studium, das er 1903 in München begonnen, und 1905 zwei Jahre lang in Berlin weitergeführt hatte, abbrach. Zum einen konnte er nicht wirklich zeichnen (eigentlich eine Voraussetzung für diese Karriere), zum anderen erschien ihm der Lehrplan an den Universitäten als öde und realitätsfern. Der damals 24-Jährige entschied sich also gegen ein Studium. Für alle drei – Gropius, Hendrix und Jagger – ein Schritt in Richtung Weltkarriere.

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Faktor 2: Familie

Mutter Künstlerin, Vater Künstler, Tochter Künstlerin. Nicht immer entscheidet man selbst über die eigene berufliche Karriere. Was nicht unbedingt ein Nachteil sein muss. Billie Eilish, die gerade zu den beliebtesten Popstars der Welt zählt, wuchs in Los Angeles als Tochter zweier Schauspieler auf. Ihr großer Bruder ist selbst Musiker und half ihr schon vor ihrem Durchbruch dabei, Songs zu schreiben und zu vertonen. In einem kreativen Umfeld aufzuwachsen, inspirierte Billie zu einem neuartigen, düsteren Sound, der sich vom aktuellen Mainstream-Pop absetzt.

Vielleicht wurde auch in auch Walter Gropius‘ Elternhaus der Grundstein für seine visionären Ideen gelegt: Er stammte aus einer großbürgerlichen Familie mit Hang zum Design: Sein Vater Walther war Architekt bei der Berliner Baupolizei, sein Großonkel Martin ein früherer Schüler des Städteplaners Karl Friedrich Schinkels, welcher wiederum ehemaliger Mitbewohner von Walters Großvater Carl war. Während Billies Sprungbrett der Online-Musikdienst Soundcloud war (dort veröffentlichte sie den Song „Ocean Eyes“, der es auf den Soundtrack der Netflix-Serie „Tote Mädchen lügen nicht“ schaffte), waren es bei Walter eher familiäre Kontakte. Nachdem er die Universität ohne Abschluss verlassen hatte, verschaffte ihm sein Großonkel eine Anstellung im renommierten Architektenbüro Behrens. Dort lernte er zukünftige Partner wie Le Corbusier oder Mies Van der Rohe kennen.

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FAKTOR 3: INSPIRATION

Hört man „Jailhouse Rock”, denkt man an den jungen Elvis Presley, wie er mit verschmitztem Lächeln und im gestreiften Oberteil vor einer Gefängnis-Kulisse seine Hüften schwingt. Selten verbindet man einen Song so sehr mit seinem Interpreten. Dabei hat Presley das Stück nicht einmal selbst geschrieben. Tatsächlich schrieb Elvis Presley keines seiner Lieder selbst. Nein, „Suspicious Minds“ ist nicht von ihm, „Hound Dog“ auch nicht und auch „Heartbreak Hotel“ hat einen anderen Verfasser. Aber nicht nur der King of Rock’n’Roll hatte fremde Hilfe. 

Auch Walter Gropius, der King of Reduktion, hatte einen Ghostwriter, wenn man so will. Der Architekt zeichnete keinen seiner Entwürfe selbst: Das Fagus-Werk, UNESCO-Weltkulturerbe und das Projekt, das ihn zum Begründer der Modernen Architektur machte, stammte beispielsweise von seinem Partner Adolph Meyer. Das Bauhaus in Dessau vom Architekten Carl Fieger. Gropius war vielleicht der Visionär, umgesetzt – zeichnerisch und architektonisch – haben seine Visionen aber andere. Es heißt, Gropius konnte zwar nicht mit dem Stift in der Hand umgehen, war dafür aber in der Lage, seine Ideen so genau in Worte zu fassen, dass man als Zuhörender das Ergebnis schon vor sich sehen konnte. Auch noch zeichnen zu können, wäre da ja eh überflüssig.

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FAKTOR 4: LIebe

John liebte Yoko, Sonny liebte Cher, Justin liebte Britney (zumindest für eine kurze Zeit) und Walter liebte Alma. „Ich habe alles ausprobiert, und nichts ist besser, als von jemanden, den man liebt, gehalten zu werden“, sagte John Lennon mal über die Liebe seines Lebens, die japanisch-amerikanische Avantgarde-Künstlerin Yoko Ono. Mit ihr zierte er nackt das Albumcover zu „Two Virgins“, mit ihr kämpfte er Ende der Sechziger in Form der berühmten Bed-Ins in Amsterdam und Montreal, für Weltfrieden. 

Auch Walter Gropius hatte eine Muse. Alma Mahler, die ehemalige Ehefrau des Komponisten Gustav Mahler, wurde als verführerisch beschrieben, als unberechenbar und unzähmbar. In diese femme fatale verliebte sich der 27-jährige Walter, nachdem er sie 1910 während eines Kuraufenthalts in Südtirol kennen gelernt hatte. Zu der Zeit war die vier Jahre ältere Frau zwar noch mit Mahler verheiratet, die beiden gingen aber dennoch eine Affäre ein, fünf Jahre später heirateten sie. Yoko Ono inspirierte John Lennon zu dem Song „Woman“, und auch Alma weckte den Poeten in Gropius – nicht im positiven Sinne allerdings. In seinem Trennungsbrief nach sechseinhalb Jahren Ehe schrieb er höchst theatralisch: „Die Frau fehlte in ihr. Eine kurze Zeit warst du mir eine herrliche Geliebte und dann gingst Du fort, ohne die Krankheit meiner Kriegsverdorrung mit Liebe und Milde und Vertrauen überdauern zu können – das aber wäre eine Ehe gewesen.“ Nicht jede Liebe, und nicht jede Muse, ist für die Ewigkeit.

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FAKTOR 5: Konsequenz

„Die Form folgt der Funktion.“ Diesen Grundsatz haben Walter Gropius und das Bauhaus zum ersten Mal konsequent durchgezogen. Auf Schnörkel, Kitsch oder Verzierungen wurde dabei komplett verzichtet, außer diese hatten einen bestimmten Nutzen. Jeglicher Glamour ging auch in den Neunzigern verloren, als eine neue Musikgattung aufkam: Der Grunge, der von Seattle aus weltweit einen Hype auslöste, stellte den krassen Gegensatz zum Glamrock der Achtzigerjahre dar. Aus aufwendig toupierten Mähnen wurden fettige Haarsträhnen, glänzende Plateaustiefel wichen ausgelatschten Tennisschuhen, Pailettenbodys wurden durch verwaschene Holzfällerhemden ersetzt.

 Die Verkörperung und der berühmteste Protagonist der Bewegung war Kurt Cobain. Mit seiner Band Nirvana, die neben Pearl Jam, Soundgarden oder Alice in Chains zu den Hauptvertretern des Genres zählt, produzierte er Hits wie „All Apologies“ oder „About A Girl“ und war bis zu seinem Tod 1994 der Anti-Held einer Generation, die sich scheinbar um nichts scherte, und modisch so wenig Aufwand betreiben wollte, wie nur möglich. Die Form des Grunge, der Schmuddel-Look, hatte aber eine Funktion: auf die Null-Bock-Attitüde der Jugend aufmerksam zu machen – absichtlich oder nicht.  

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FAKTOR 6: HANDWERK

Walter Gropius vertrat in seinen Designs den Standpunkt, dass jedes Bauwerk eine Symbiose aus Kunst und Handwerk sein sollte. Es war sein Traum, diese neue Art des Konstruierens und der Baukunst einzuführen. Unter diesem Leitsatz entstand beispielsweise das 1926 eröffnete Hochschulgebäude des Bauhauses in Dessau. Nachdem man vom Jugendstil prunkvolle Bauten mit dekorativen Elementen gewohnt war, empfanden viele das karge Gebäude mit Stahl- und Glasfassade als zu modern und es stieß daher auf wenig positive Resonanz. 

Ähnlich ging es Queen etwa 50 Jahre später: Mit „Bohemian Rhapsody“ schrieb Freddie Mercury ein fast sechsminütiges Werk, das von Plattenbossen als zu kompliziert für den kommerziellen Musikmarkt abgetan wurde. Mercury vereinte in dem Song das musikalische Handwerk verschiedenster Gattungen – der Falsettgesang einer barocken Oper traf auf Gitarrenriffs aus dem Hardrock – und erschuf so ein neues Kunstwerk. Im Mainstream mag zu viel Handwerk, und vor allem zu viel künstlerischer Anspruch, nicht immer gefragt sein. Sowohl Walter Gropius als auch Freddie Mercury bewiesen aber, dass Regeln und Experimente zusammengehören – und dass beide eine perfekte Synthese bilden können.

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FAKTOR 7: Provokation

Provokation hat viele Facetten: Manchmal tritt sie als Mann in femininen Kostümen auf, manchmal in knappen Schulmädchen-Outfits. Sicherlich haben David Bowie und Britney Spears unterschiedliche Absichten verfolgt. Während manche Musiker nur der Provokation wegen provozieren, setzen sich andere damit für Gleichberechtigung und Toleranz ein. Als David Bowie beispielsweise sein Album „Space Oddity“ mit Langhaarfrisur und im Frauenkleid promotete, antwortete er auf einen beleidigenden Kommentar nur trocken: „Ich sehe wunderschön aus.“ 

Maßgeblich provoziert hat auch Walter Gropius mit den Grundideen für seine staatliche Hochschule: Eine Universität für alle. Dieser liberale Ansatz kam im konservativen Deutschland nicht an. Die Bauwerke? Zu modern. Die Studierenden? Zu international. Die Haare der Frauen? Zu kurz. Überhaupt: Frauen, die studieren? Das Bauhaus stellte sich aber nicht nur gegen veraltete Normen, es stellte sich vor allem gegen alte Stilrichtungen, verweigerte den Kapitalismus, zeigte sich linksliberal. Es provozierte ganz offensichtlich und verfolgte damit den Zweck, die Gesellschaft zu einer offeneren zu erziehen, bis es von den Nationalsozialisten zur Selbstauflösung gezwungen wurde. Obwohl das Bauhaus damals vielleicht ein Mikrokosmos der Offenheit war, sind die Auswirkungen noch heute, von Bedeutung. Heute, wo sich Männer und Frauen in jeder Kleidung zeigen können sollten – ohne beleidigt zu werden.

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Foto: Louis Held | Illustration: Vivian Harris