Künstliche Intelligenz Facts Zukunft Jetzt

Künstliche Intelligenz: Wenn wir jetzt nicht handeln, ist es zu spät

Technologie und Zukunft – Freunde oder Feinde? Wenn wir so weitermachen, wird uns die Skepsis gegenüber Künstlicher Intelligenz bald zum Verhängnis. Eine Streitschrift über die Zukunft des Menschen und wieso diese eigentlich schon lange begonnen hat

Die Hälfte der Deutschen fürchtet sich vor einem Kontrollverlust durch den verstärkten Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI). Das ergab eine Studie des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BvDW). Verständlich, aber auch irgendwie lustig. Lustig deshalb, da es ein ziemlich schroffes Urteil über eine Entwicklung ist, die schon viel mehr Gegenwarts- als Zukunftsmusik ist.  Da uns Angst und Nichtstun aber selten weitergebracht haben, sollte man dieser Blauäugigkeit etwas entgegenhalten und sich gegenüber dem technischen Fortschritt doch ein wenig optimistisch zeigen. Denn nur, wenn wir den Nutzen der KI rechtzeitig erkennen, kann sie sinnvoll genutzt werden – bevor sie in falsche Hände gerät.

Moment. Eigentlich sind wir doch schon längst Optimisten. In einer Zeit, in der wir gefühlt täglich irgendwelchen Allgemeinen Geschäftsbedingungen zustimmen, ohne sie davor zu lesen. In der wir Musik hören und Filme schauen, die uns Streaming-Dienste vorschlagen. In der uns persönliche Vorschläge auf Online-Shops die Kaufentscheidungen erleichtern. Wir setzen den Haken, klicken auf Play, geben die Bestellung auf und lehnen uns zurück – mit der Erwartung, dass schon alles gut gehen wird.                       

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So beeinflusst dich die Künstliche Intelligenz jetzt

Wir stimmen der Künstlichen Intelligenz und der damit verbundenen Sammlung von Daten also sowohl bewusst als auch aus reiner Gewohnheit und Bequemlichkeit zu. Gleichzeitig, und das ist eigentlich das Lustige dabei, gibt es eine extrem starke Abneigung gegenüber Künstlicher Intelligenz. Gern wird in diesem Zusammenhang das Schreckgespenst moderner Überwachung und Steuerung beschworen. Dabei ist die KI keine neue Erscheinung.

 

Bereits in den Fünfzigerjahren begannen die Forschungen zu einer Technologie, bei der sich künstliche neuronale Netze basierend auf gesammelten Daten selbst weiterentwickeln, im Dartmouth College in Hanover, New Hampshire. Der Stand heute: Man möchte seine Daten nicht teilen, weil man Angst hat, beobachtet zu werden. Man fühlt sich ertappt, wenn auf Social Media eine Werbung für die neuesten Sneakers angezeigt wird, über die man gerade mit seinen Freunden gesprochen hat. Ob man nun aber will oder nicht, der Einsatz von KI wird immer stärker. Dafür braucht es Daten, die ständig gesammelt werden und die – siehe oben – ständig von uns geliefert werden.

 

Wie die Künstliche Intelligenz die Zukunft regieren könnte

Bis zu einem gewissen Grad kann die Entwicklung mit der industriellen Revolution im 20. Jahrhundert verglichen werden. Wer sich damals rechtzeitig damit auseinandergesetzt hatte, konnte den Nutzen und die Effizienz-Steigerung durch Technologien erkennen. Allerdings wurden „Züge, Elektrizität, Radio, Telefon sowohl für kommunistische Diktaturen und faschistische Regime eingesetzt als auch für die Erschaffung von liberalen Demokratien“, so der Historiker Yuval Noah Harari, der in seinen Büchern wie „Homo Deus – Eine Geschichte von Morgen“ ein eher dystopisches Zukunftsszenario der KI beschreibt.

 

Ob dieses eintritt, liegt letztendlich am Einsatz und dem Verständnis für neue Leistungen durch die KI.  Kurzum, es liegt an uns. Doch wie soll dieses Gespür geschaffen werden? Die Dringlichkeit, diese Frage zu beantworten, liegt im entscheidenden Unterschied zur industriellen Revolution. Noch nie waren Algorithmen und die damit verbundenen maschinellen Anwendungen so eng mit Entscheidungsprozessen der Menschen verbunden. Wenn es also irgendwann um weitaus ernstere Anwendungen als die Filmauswahl auf Netflix geht, ist es für unserer Selbstwillen essentiell, dass wir uns vor möglichen Manipulationen schützen.

 

Myriam Locher, Gründerin und CEO von Bettermind und Unternehmensberaterin für digitale Transformation, lieferte in einem Interview eine einfache Erklärung: „Wir reden davon, dass wir in den kommenden 20 Jahren den gleichen Entwicklungssprung sehen werden, wie wir ihn in den letzten 1000 Jahren vollzogen haben.“ Es gehe darum, maximal agil zu sein und eine herausragende Fehlerkultur zu etablieren. „Das ist die notwendige Basis, um in dieser Zeit schnell genug lernen zu können.“

Künstliche Intelligenz & Daten: Das musst Du darüber wissen

Was hindert uns eigentlich daran, uns nicht so schnell wie möglich damit auseinanderzusetzen? Woher kommt diese „allgemein mittelgute Wahrnehmung von Künstlicher Intelligenz“? So beschreibt sie Volker Darius, Experte für die KI und Innovationen von Capgemini Invent. Der Unternehmensstrategie-Berater im Bereich Künstliche Intelligenz erklärt dieses gesellschaftliche Phänomen anhand zweier Ursprünge: „Wenn der Mensch Dinge nicht versteht, versucht er, sie frei zu interpretieren.“

 

Das liege zum einen daran, dass zu wenig oder falsche Aufklärung betrieben wird. Sowohl von den Medien als auch innerhalb von Unternehmen. Zum anderen spitze sich die Angst vor einer der Menschheit überlegenen Super-Intelligenz durch die verzerrte Wahrnehmung nur noch weiter zu. Dabei sind wir doch noch lange nicht am Punkt der Verschmelzung von Menschen und Robotern. Algorithmen kontrollieren auch nicht die Welt. Zumindest nicht in näherer Zukunft. Wenn Sie aber noch weiter rumtrödeln und in der gemütlichen Vergangenheit leben, könnten das bald diejenigen unter uns tun, die sich früh genug mit der Technik auseinandersetzen.

So hilft die Künstliche Intelligenz im Alltag und am Arbeitsplatz

Aktuell geht es jedoch vielmehr um kognitive virtuelle Assistenten wie Siri und Alexa. Oder intelligente Dienste wie in der Landwirtschaft. Dort kann die KI basierend auf gesammelten Daten bisheriger Ernten und äußeren Umständen wie klimatischer Verhältnisse oder der geografischen Lage vorschlagen, wie viel Dünger für einen höchstmöglichen Ernteertrag optimal sind. Dass die KI jedoch selbst einen Bauernhof führen kann, ist im Moment noch außer Reichweite. Ein weiteres kooperatives Beispiel ist Watson von IBM. Ein auf der KI basierendes Programm, das Unternehmen in unterschiedlichsten Bereichen assistiert. Dabei ist ein Anwendungsbereich die Medizin, wo Watson schnelle Vorschläge für Arzneimittel bereitstellt, indem hunderte von Fällen in Rekordzeit analysiert und darauf basierend Empfehlungen ausgesprochen werden.

 

Übertragen auf andere Branchen bedeutet das, dass die KI im Zusammenhang mit technischen Entwicklungen in der nächsten Dekade die Menschen von sinnfreien, monotonen Arbeiten befreien kann, die uns doch sowieso langweilen. Bevor du dich jetzt um den Untergang der Arbeitskultur sorgen und vielleicht sogar die eigene Entlassung fürchtest – keine Angst, du wirst nicht nutzlos sein. Im Gegenteil, du wirst sogar wichtiger.

 

Diese Erfahrung machte auch Sven Galla, wie er der Süddeutschen Zeitung erzählte. Mit seiner Legal-Tech-Kanzlei Ratis setzte er als erster Jurist in Deutschland auf einen autonomen Chat-Bot. Dieser ersetzt den Anwalt in Routine-Arbeiten wie der Einordnung von Mandanten oder der Anfertigung der Abwicklungsvereinbarung. Die Vision: den Algorithmus dort einsetzen, wo er eben einfach besser und effizienter arbeitet als der Mensch. Somit kann Galla sein ganzes Wissen, das er in seiner juristischen Erfahrung angesammelt hat, auf tausende Klienten übertragen. Das Resultat: Der Anwalt aus Passau beschäftigt heute so viele Mitarbeiter wie noch nie. Deren Gehälter sind übrigens auch gestiegen. Mit dem rund um die Uhr arbeitenden Ratis-Bot will er bald die 30-Stunden-Woche einführen.

Wieso Künstliche Intelligenz jetzt sinnvoller ist denn je

Es ist also nicht zu leugnen, dass die KI viele Arbeiten übernehmen wird. „Sie ist somit aber auch eine Chance, darüber nachzudenken, welche Arbeiten wirklich noch sinnvoll sind und wie man Prozesse zeitgemäßer machen kann“, plädiert Juliane Kahl. Sie ist Gründerin des Responsive Fashion Institutes, das Projekte zu der Förderung von Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Mode durchführt.

 

Überlegen wir mal einfach: Trägt ein Kassierer von H&M wirklich zum Wohl der Welt bei, wenn er pro Tag Hunderte von Artikeln scannt und einsortiert? Oder würde es mehr dem Zeitgeist entsprechen, die Transparenz des Unternehmens fördern und den Kunden einen Mehrwert bieten, wenn er den Konsumenten fundiert über die Herstellungskette eines T-Shirts Auskunft geben könnte? Ja, Jobs und Aufgaben fallen weg. Das taten sie schon zu Zeiten der Einführung der Dampfmaschine. Es entstehen aber auch laufend neue Stellen, für die man nicht automatisch programmieren können muss – Stichworte Influencer, Feel Good Manager und Drohnen-Piloten.

Was kommt danach? Das ist die richtige Vorbereitung auf die Zukunft

Vielleicht sollten wir auch generell unsere allgemeine Einstellung zur Arbeit überdenken? Volker Darius greift bei seiner Argumentation auf die logische Konsequenz der Technologisierung zurück: „Sobald die Automatisierung steigt, wächst der Lebensstandard und Freiraum der Gesellschaft.“ Besonders Letzterer wird wohl eine neue Bedeutung erfahren. Wir haben doch sowieso immer zu wenig Zeit für, naja, alles. Wenn uns dann also endlich mal mehr Freiraum zur Verfügung stünde, wofür könnte dieser genutzt werden? Eigentlich ist es ganz einfach: entweder für mehr Freizeit oder aber für eine andere Art von Arbeit. Dabei ist es doch heute schon spannend zu sehen, dass Menschen oft arbeiten, obwohl sie nicht müssten – sei es für eine gemeinnützige Organisation oder für die Umsetzung einer eigenen Idee. Vielleicht ist die KI also eine Chance, unsere Zeit in diese Arbeiten zu investieren, die unsere Gesellschaft aus sozialer Sicht vorantreiben

Das ist dein Merkzettel für Künstliche Intelligenz

Wir halten fest: Die KI unterstützt die Menschen da, wo sie effizienter arbeitet. Dafür braucht sie unsere Daten. Die sollen jedoch nicht gegen die Gesellschaft verwendet werden. Und genau, weil immer noch wir Menschen die Algorithmen zu unserem Besten programmieren, ist es entscheidend, dass jeder jetzt handelt. KI-Experte Darius weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass politische sowie gesellschaftliche Ambitionen darauf abzielen müssen, dass Unternehmen mit ihren erhobenen Daten transparent umgehen.

 

Hinzu kommen Initiativen wie das von Kanada und Frankreich gegründete Panel on Artifical Intelligence (IPAI). Es will internationale Standards für den Einsatz der KI schaffen. Um mit der KI eine sinnvolle Zukunft und den potenziellen Missbrauch unter Kontrolle zu haben, sind transparenter Umgang und klare Regeln unumgänglich.  Was das für jeden Einzelnen bedeutet? Interesse und Neugier statt Ablehnung und Skepsis. Die Politik soll auf diese Weise gerade noch rechtzeitig merken, dass in Aufklärung und Qualifikationen langfristig investiert werden muss. Wenn alle dabei mitmachen, wäre die Basis also nicht allzu schlecht. Was fehlt, ist Verständnis sowie Vertrauen. Und letztlich ist es doch genau das, was wir der KI voraushaben: Intuition und Empathie. Und vielleicht auch etwas Optimismus.

 

Illustration: Nastasja Schefter @nastja.illustration