Nachhaltige Mode Pailletten Zukunft – Elissa Brunato

Wieso das Handwerk die Zukunft der nachhaltigen Mode ist

Aus Müll werden plötzlich schimmernde Pailletten und auf den Kleidern von Michelle Obama landen aufwendige Stickereien. Nachhaltige Mode kann heutzutage die unterschiedlichsten Ursprünge haben. Wieso vor allem das Handwerk genau jetzt so wichtig ist.

Elissa Brunato legt sich Pipette, Reagenzglas und Petrischale zurecht. Im zugeknöpften weißen Laborkittel sitzt sie vor einer rosaroten Mikrotitierplatte. Sie hat ihre Augen konzentriert auf ihr „Projekt“ gerichtet. Es ist aber keine neu entdeckte Bakterienart, die sie unter dem Mikroskop betrachtet. Es sind Pailletten. Elissa Brunato macht Mode. Nachhaltige Mode, die die Branche revolutionieren soll. Ihre Pailletten bestehen nicht aus mit Kunststoff beschichteten Metallplättchen, sondern – aus Cellulose.

Wieso die Modeindustrie in einer Krise ist

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Die nachhaltigen Pailletten glänzen genauso wie ihre umweltschädlichen Pendants. Bild: Elissa Brunato

Die junge Australierin, die zurzeit am Central Saint Martins College in London ihr Masterstudium absolviert, könnte zu einer dieser Modedesignerinnen und Materialforscherinnen werden, von denen es laut Trendforscherin Lidewij Edelkoort immer weniger gibt. In ihrem „Anti Fashion Manifesto“ kritisierte sie, dass Modestudierende ihre Energie mit Unwichtigem verschwenden.  Dass sie ihre Zeit etwa in Shows, Marketing, Kommunikation und Fotografie investieren (müssen). „Dabei kommt nicht nur die Mode zu kurz, sondern auch das Wissen für Materialien, Stoffe und Designkompetenz“, so die Niederländerin, die den Modeschöpfer Azzedine Alaïa als letzten richtigen Modemacher sah.

Wenn also die Modedesigner nichts mehr von ihrem Handwerk verstehen, wie sollten sie dann ein Gefühl von Wertschätzung für Materialien an die Gesellschaft weitergeben? In einer Zeit, in der die Fashion-Industrie wegen Überproduktion sowie billigen Materialien in einer wirtschaftlichen Krise steckt und der stärkste Umweltverschmutzter nach der Ölindustrie ist, ist die Frage wichtiger denn je.

Nachhaltige Mode: Wie Pailletten die Umwelt verpesten

Es gibt Hoffnung. Elissa Brunato bringt das Wissen nicht nur mit, sie will damit ein allgemeines Verständnis für Materialien schaffen. Brunato will zeigen, wie wertvoll, wichtig – und vor allem – schön natürliche Ressourcen sind.  „In der Mode steht die Ästhetik immer an erster Stelle. Bei nachhaltiger Mode denkt man hingegen zuerst an wenig originelle Beige- und Naturtöne“, sagt die Designerin. Niemand würde erwarten, dass kleine Pailletten einen großen Einfluss auf die Umwelt haben können. Zu Hunderten aufgenäht auf schillernden Tops und Abendroben landen sie jedoch, mit vielen anderen Kleidern auf Mülldeponien.

Denn oft haben sie nach einmaligem Anziehen ihren Zweck erfüllt. Auf  den Deponien dauert es über 200 Jahre, bis sie sich vollständig zersetzt haben. Mit ihrem Projekt der „Bio Iridescent Sequins“, bei dem sie mit der Modefirma Stella McCartney und dem Research Institute of Sweden (RISE) zusammengearbeitet, zeigt Brunato, dass man mit der Öko-Version einen genauso glänzenden Auftritt hinlegen könnte wie mit den umweltschädlichen Pendants. Ohne dabei schlimme Spuren zu hinterlassen.

Ein Prototyp der abbaubaren Paillette: Die „Bio Irisdescent Sequins“ reflektieren das Licht in allen Farben. Bild: Elissa Brunato

WIESO DAS HANDWERK IN DER MODE JETZT WICHTIGER IST DENN JE​

Es gibt noch Orte, an denen mehr als vereinzelte Personen das Handwerk schätzen.  In St. Gallen, einem schweizerischen Städtchen mit 80.000 Einwohnern, erwartet man wohl nicht unbedingt die Anfänge von Kleidern, die Geschichte schreiben. Ganz im Stillen beliefert das 1904 gegründete Stickerei-Unternehmen Forster Rohner jedoch tatsächlich die größten Modehäuser wie Chanel und Valentino. Was 1940 mit einer Zusammenarbeit mit Christian Dior begann und 2008 durch Miuccia Pradas Volute-Serie mit den berühmten Guipure-Stickereien einen erneuten Höhepunkt feierte, geht heute weiter: Auch die amerikanische Ex-First Lady Michelle Obama trägt Kleider aus den Stoffen des Traditionshauses.

Mit ihren automatisierten Stickerei-Prozessen zählt Forster Rohner zu den wenigen Hütern der berühmten St. Galler Stickerei. Gleichzeitig ist das Unternehmen Vordenker für neue, smarte Textilien mit leitfähigen Garnen. Diese bringen zum Beispiel in Textilien eingearbeitete LED-Lichter zum leuchten.  

Von Hand gemalt, maschinell vollendet: Forster Rohners Stickdesigns reichen von Blumen- bis zu Schmetterlingsmotiven. Bild: Forster Rohner

High Fashion gegen Fast Fashion: Das solltest Du darüber wissen

Auf die Frage, welche Relevanz ihre Stickereien für die Modeindustrie haben, antwortet Miriam Rüthemann, Assistentin der Geschäftsleitung und Produktmanagerin für Lingerie, auch eher cool: „Forster Rohner stellt auf modernsten Stickmaschinen hochwertige, modische Stickereien her.“ Die jahrelange Expertise fließe dabei in jedes der Produkte ein, sagt Rüthemann. „Was die Fast Fashion-Industrie anbietet, hat nichts mit Qualität zu tun, sondern ist eine billige Kopie unserer Dessins.“ Damit spielt sie auf den allgemeinen Kopierwahn der Modeindustrie an. Dabei geben High Fashion Häuser zwar die Trends vor, gleichermaßen sind diese jedoch auch das Futter für Großkonzerne. In diesem Industriezweig gilt allerdings, so schnell wie möglich für die Masse produzieren. Dass qualitatives Handwerk dabei keine große Rolle mehr spielt, spiegelt sich letztlich in den Preisen wider.

So viel Arbeit auch in den Designs stecken mag, die wenigsten wissen wohl, ob die Stickereien auf ihrer Bluse aus St. Gallen kommen. Obwohl das Unternehmen mit der Automatisierung von hochwertigen Stickereien der Inbegriff von demokratisiertem Handwerk ist, erreicht ihre Bekanntheit nicht den Endkonsumenten. „In manchen Fällen dürfen wir es gar nicht öffentlich machen, dass die Textilien aus dem Haus Forster Rohner stammen“, sagt Rüthemann. Eine wirkliche Begründung gebe es dafür jedoch selten. Doch sollte sich die Wertschätzung eines Kleidungsstücks wirklich nur auf ein Chanel-Logo und die Werte eines Modelabels beschränken? Ohne Textilien, würde dieses Logo schließlich auch nicht das sein, wofür es heute steht. Sprich, die Anfänge der Textilien und dessen Urheber tragen genauso zum Erfolg eines Labels bei, wie die finalen Kollektionen und dessen Vermarktung.

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Hinter den aufwendigen St.Galler Stickereien steckt jahrelange Expertise. Bild: Forster Rohner

Wie sich Tradition und Technologie ergänzen

Wenn also die Modehäuser die Ursprünge ihrer Kollektionen auf Moodboards und Inspirationen reduzieren und die Designer laut Branchen-Insiderin Li Edelkoort sowieso immer weniger von Materialien verstehen, wie kann das grundlegende Problem der schwindenden Wertschätzung und die damit verbundene Wegwerfgesellschaft dann gelöst werden? Laut Juliane Kahl, Direktorin des Responsible Fashion Institutes, gibt es einen einfachen Lösungsansatz.

„Wir leben in einem Zeitalter, in dem ständig Daten gesammelt werden“, so die Innovationsberaterin aus München. Was wäre, wenn man eine emotionale Bindung zu Produkten, zum Beispiel Kleidungsstücken, mittels visualisierter Daten schaffen könnte? „Kleidungsstücke und Textilien beinhalten Geschichten zu Fertigungstechniken und den Menschen, die sie hergestellt haben“, sagt Kahl. „Es ist wichtig, diese zu erzählen und das Wissen darüber zu erhalten.“

Neue Lösungen: So entsteht Mode aus Abfall

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Für eine nachhaltige Zukunft: In Zusammenarbeit mit dem Research Institute of Sweden (RISE) ist es Elissa Brunato gelungen, die erste biologisch abbaubare Paillette herzustellen. Bild: Elissa Brunato

Wenn diese Geschichten auch noch einen nachhaltigen Ursprung haben, könnte man also gleich zwei Probleme in einem angehen: Indem Unternehmen transparent sind und der Ursprung des umweltfreundlichen Materials klar kommunizieren. Denn dadurch steigt im besten Fall auch die Wertschätzung des Produkts beim Konsumenten. Dass dabei schon wortwörtlich kleine Lösungen einen großen Effekt haben, zeigen Elissa Brunatos Pailletten aus der Pipette.

Mit Cellulose als Ausgangsmaterial, das hier aus Holz gewonnen wird, ist es tatsächlich gelungen, den begehrten Schimmer-Effekt ohne Zusatz von jeglichen Chemikalien nachzuahmen. Die glänzenden kompostierbaren Plättchen sind im Moment noch Prototypen. Doch in Zukunft werden die Pailletten sogar aus Abfall oder Kompost gewonnen werden können. Sie zählen ebenfalls als Hauptlieferant für Cellulose. Anfragen hat die Brunato auch schon genug. Ihr Ziel: „Nicht nur die Haute Couture soll meine Pailletten verwenden, sie sollen für alle zugänglich sein.“ Eine Einstellung, die wohl nicht besser beweisen könnte, dass man auch mit kleinen Dingen glänzen kann. Eben wie eine Paillette.

Titelbild: Elissa Brunato