Mein Bruder nannte unsere Mutter nach dem Supermarkt-Vorfall nicht mehr Anne. Jedoch auch nicht Mama. Nein, er nannte sie Anneliese. Auch ein schöner Name, aber eigentlich heißt sie Stefanie. Als meine Mutter Claudio abends von einer Party abholen wollte, flehte sein bester Freund: „Bitte nur noch eine Stunde, bitte, Anneliese.“ Mama war leicht entsetzt. „Moruk, sie heißt Stefanie nicht Anneliese, wallah“, prustete Claudio. Sein Freund, sichtlich verlegen: „Çüş!“
In der Tat „krass“, was alles passieren kann, wenn man keinen einzigen Satz mehr ohne türkische Begriffe sprechen möchte. Peinliche Verwechslungen sind dabei nicht mal das Schlimmste.
Ist „Kiez-Dialekt“, „Türkenslang“ oder, wie ich es nenne, „Dönerdeutsch“ eine Bedrohung für die deutsche Sprache? Von vielen wird es als Ursprung fehlender Integration von Jugendlichen nichtdeutscher Herkunft gedeutet und als Verfall des Deutschen angesehen. Anfangs hätte auch ich so gedacht. „Warum kannst du eigentlich nicht mal normal sprechen?“, fragte ich meinen Bruder beim Frühstück. „Habibi, tu ich doch“, trotzte er. „Hast du mich grad beleidigt? Ganz ehrlich, hör auf, immer solche Wörter zu verwenden!“ Obwohl… was genau bedeutete „Habibi“ eigentlich? Ich zückte also unauffällig mein Handy, Google Translate würde mir schon recht geben. Leicht verdutzt schaute ich Claudio an. „Habibi“ ist ein arabischer Ausdruck für „Liebling“. „Ohhhhh, du bist ja süß“, sagte ich und wollte ihn ganz feste drücken. „Siktir git lan, fass mich nicht an.“ Und so war der beinahe schöne Geschwistermoment zerstört.