Türkisch für Anfänger Kolumne

Türkisch für Anfänger

Moruk, vallah, habibi – verstehen Sie nicht? Unsere Autorin auch nicht. 

Annnnnnnneee!“, ruft mein jüngerer Bruder Claudio lautstark durch den ganzen Rewe. Sechs Mütter drehen sich um. Nur nicht unsere. „Annee?“, fragt er. Keine Reaktion. „Lan, warum hört sie denn nicht? Maaaammmmaaa?“. „Ja, mein Schatz?“, antwortet unsere Mutter schließlich mit ruhiger Stimme. „Und nenn mich nie wieder Anne!“, folgt darauf mit Nachdruck. „Okay haydi, lassma gehen. Yallah!“, erwidert Claudio – genervt, dass scheinbar niemand aus der Familie das türkische Wort für Mutter (Anne) zu kennen scheint.

Du musst wissen, dass wir in einem Dorf außerhalb von München wohnen. In der Nähe der Autobahn, nicht weit vom Flughafen entfernt. Zwei Rewe, ein Aldi, ein Netto. Daneben der „Yilmaz“ Supermarkt, eine Dönerbude und ein türkischer Brautmodenladen. Genau in diesem Laden kaufe ich Kleider für besondere Anlässe, mittags gehe ich Manti (türkische Maultaschen) essen und während des Ramadan zu meiner Freundin zum Fastenbrechen – ich faste zwar nie, das Festmahl lasse ich mir aber trotzdem nicht entgehen. Türkisch kann ich kein Wort. Denn wie du wahrscheinlich aus den Namen von mir (21) und meinem Bruder (18) schließen kannst (ich entschuldige mich im Voraus für die Stereotypisierung), sind wir keine Türken, aber auch keine Italiener. Wir sind Deutsche.

      Anne

      haydi

      yallah

"Dönerdeutsch" als sprachverfall?

Mein Bruder nannte unsere Mutter nach dem Supermarkt-Vorfall nicht mehr Anne. Jedoch auch nicht Mama. Nein, er nannte sie Anneliese. Auch ein schöner Name, aber eigentlich heißt sie Stefanie. Als meine Mutter Claudio abends von einer Party abholen wollte, flehte sein bester Freund: „Bitte nur noch eine Stunde, bitte, Anneliese.“ Mama war leicht entsetzt. „Moruk, sie heißt Stefanie nicht Anneliese, wallah“, prustete Claudio. Sein Freund, sichtlich verlegen: „Çüş!“

In der Tat „krass“, was alles passieren kann, wenn man keinen einzigen Satz mehr ohne türkische Begriffe sprechen möchte. Peinliche Verwechslungen sind dabei nicht mal das Schlimmste.

Ist „Kiez-Dialekt“, „Türkenslang“ oder, wie ich es nenne, „Dönerdeutsch“ eine Bedrohung für die deutsche Sprache? Von vielen wird es als Ursprung fehlender Integration von Jugendlichen nichtdeutscher Herkunft gedeutet und als Verfall des Deutschen angesehen. Anfangs hätte auch ich so gedacht. „Warum kannst du eigentlich nicht mal normal sprechen?“, fragte ich meinen Bruder beim Frühstück. „Habibi, tu ich doch“, trotzte er. „Hast du mich grad beleidigt? Ganz ehrlich, hör auf, immer solche Wörter zu verwenden!“ Obwohl… was genau bedeutete „Habibi“ eigentlich? Ich zückte also unauffällig mein Handy, Google Translate würde mir schon recht geben. Leicht verdutzt schaute ich Claudio an. „Habibi“ ist ein arabischer Ausdruck für „Liebling“. „Ohhhhh, du bist ja süß“, sagte ich und wollte ihn ganz feste drücken. „Siktir git lan, fass mich nicht an.“ Und so war der beinahe schöne Geschwistermoment zerstört. 

      moruk

      wallah

      çüş

 

 

      habibi

 

 

      siktir git lan

ein geschenk der türkischen sprache

Ich dachte nach. Eigentlich ziemlich beeindruckend, dass viele deutsche Jugendliche neben Anglizismen auch die Bedeutung türkischer oder arabischer Wörter kennen und diese auch in ihre Ausdrucksweise miteinfließen lassen. Wir alle sprechen nicht nur ein Deutsch. Wir wechseln ständig zwischen formell und informell, zwischen Dialekt und Hochdeutsch und zwischen Englisch und Deutsch. Warum dann nicht auch zwischen Türkisch und Deutsch? Durch die sprachliche Kreativität der Jugendlichen fließen neue Fremdwörter ins Deutsche ein, die Grammatik wird vereinfacht und die Sprache dynamischer. Diese Art von Jugendsprache gibt es schon seit Mitte der 1990er Jahre und trägt seitdem, gerade in Gruppen von Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund, zu einer besonderen sprachlichen Integration bei. „Dönerdeutsch“ als Bedrohung anzusehen, ist also kurzsichtig, wir sollten es eher als Geschenk betrachten. Ein türkisches Sprichwort sagt: „Bir lisan, bir insan. Iki lisan, iki Insan.“ – „Wer eine Sprache beherrscht, der ist nur ein Mensch; wer aber zwei Sprachen beherrscht, gilt als zwei Menschen.“ Na, dann sollte ich wohl schleunigst einen Türkischkurs bei meinem Bruder machen. „Was heißt denn dieses Sektür ged lann?“ Doch er hatte mir schon den Rücken zugewandt und ich hörte nur sein verschmitztes, freches Lachen.

 

 

 

 

 

 

 

      bir lisan, bir insan. Iki lisan, iki Insan

erste stimme

zweite stimme

dritte stimme

Claudio (18), spricht fließend Dönerdeutsch

Zeynep (22), spricht fließend Türkisch und Deutsch

Raffaela (21), spricht fließend Deutsch, jedoch weder Dönerdeutsch noch richtiges Türkisch

Titelbild: Unsplash